»Kunst formt mich«
Im Gespräch mit Clemens von Lucius
Berlin, 1. Dezember 2015
Ich habe zu Beginn eine Frage zu den Titeln deiner Arbeiten. die letzte Ausstellung bei SCHWARZ CONTEMPORARY hieß La grande ombra (2015), frühere Ausstellungen trugen Titel wie Running on Sunshine oder Follow the Smokeman. Auf den ersten Blick ist nicht sofort eine Beziehung dieser konkreten Titel zu den Arbeiten zu erkennen. als Gegenstück dazu tragen einzelne Werke dann Titel wie Lamar oder Gri-Gri (beide 2015), bei denen die Bedeutung nicht klar ist. Kannst du etwas dazu sagen, wie du zu deinen Titeln kommst und was für eine Rolle sie in deiner Kunst spielen?
Ich bin der Ansicht, dass ein Kunstwerk nicht nur eine einzige Bedeutungsebene hat. Hier spielen Titel eine wichtige Rolle: Sie können als Parallelstrang zum visuellen Erscheinungsbild Assoziationen freisetzen und so die Betrachter anregen, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Dieser Aspekt ist bei der Suche nach den Titeln für mich von Bedeutung. Die Titel haben meist eine persönliche Seite, sind aber nicht direkt biografisch wie bei manchen Künstlern. Sie sollen nicht durch zu konkrete Bedeutungen einengen, sondern Denkräume öffnen und Gedanken freisetzen.
Einige Titel haben ihren Ursprung in Musik – ich höre sehr viel Musik bei der Arbeit. Mich reizt besonders deren Unmittelbarkeit: Sie löst häufig innerhalb von Sekunden Reaktionen und auch Emotionen aus. Wenn ich das Radio anschalte, weiß ich sofort, ob ich weiterhören oder einen anderen Sender suchen will. Und dabei ist es unerheblich, ob ich das intellektuell begreifen oder begründen kann. Idealerweise geht also bei der Betrachtung meiner Werke im Zusammenspiel mit den Titeln beides Hand in hand: Bauchgefühl und Intellektuelles. Sie sollen stimulieren.
Dein skulpturalen Arbeiten, aber auch deine Ausstellungen insgesamt stehen für mein Gefühl in einem engen Dialog mit der jeweiligen Präsentationsform. Der umgebende Raum und auch der Weg, den der Betrachter nehmen kann, sind wichtig. Schaffst du die Skulpturen teilweise für eine bestimmte Raumsituation oder passt du sie an diese an?
Für die schon erwähnte Ausstellung La grand ombra habe ich mir sehr viele Gedanken gemacht, wie die Werke choreografieren kann. Vor allem bei meinen skulpturalen Arbeiten ist es wichtig, dass man auch um sie herumgehen kann. Das spielt auch für mich als Künstler eine Rolle. Es ist geradezu unterhaltsam zu sehen, schon während des Entstehungsprozesses, was eine Arbeit auf der anderen Seite zu bieten hat.
Es ist mir wichtig, dass meine Werke auf unterschiedliche Weise ›funktionieren‹. Einerseits unmittelbar, wenn man sie nur für wenige Sekunden betrachtet, andererseits sollen sie dem Publikum auch die Möglichkeit bieten, nach zehn Minuten noch etwas Überraschendes zu entdecken. Diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen stehen in enger Beziehung zum Raum. Das hat auch mit meinem ersten Studium in Holland zu tun, der Studiengang hieß »Monumentale Kunst«. Es ging dort aber nicht um reine Größe, also nicht um Skulptur im öffentlichen Raum oder Ähnliches und auch nicht um ein bestimmtes Medium. Die Hauptfrage war die nach der eigenen Haltung und das schwingt immer noch in meinen Arbeiten mit. Mich interessieren starre Definitionen eher wenig, ich finde es im Gegenteil viel reizvoller, eine Malerei zu schaffen, die auch skulpturale Qualitäten hat, oder eine hängende Skulptur, die zeichnerische Qualitäten besitzt.
Für Betrachter, die dein Werk nicht im Detail kennen, könnte ein gewisser Widerspruch bestehen zwischen den großen und beinahe ›technoiden‹ Skulpturen und den feinen, teilweise fast fragilen Zeichnungen. Wie würdest du die Beziehung zwischen diesen beiden Teilen deines Werks beschreiben? Oder sind es gar keine getrennten Teile für dich?
Für mich sind die Skulpturen und die Zeichnungen nicht so klar getrennt, sie bedingen sich. Ich wäre wahrscheinlich ohne die großen Metallskulpturen gar nicht in der Lage, so fragile Papierarbeiten zu machen. Manchmal konfrontiere ich ouch mehrere scheinbar gegensätzliche Materialien in einer Arbeit, das erzeugt eine ganz eigene Spannung. Mich interessiert diesbezüglich, die Genregrenzen zu überwinden.
Als ich Meisterschüler bei Silvia Bächli war, habe ich zum ersten Mal einen ganzen Raum alleine als Atelier bekommen. Ich habe dabei erfahren, was es bedeutet, mehrere Arbeiten in verschiedenen Medien und in unterschiedlichen Stadien parallel zu bearbeiten. Es war neu für mich, dass ich ein Werk nicht sofort fertigstellen muss, sondern es auch liegen lassen kann. Und so arbeite ich heute immer noch: Die großen Arbeiten existieren im gleichen Raum wie meine Zeichnungen, sie beeinflussen sich gegenseitig. Es gibt Beziehungen zwischen ihnen, sie sind allerdings nicht so eindeutig wie beispielsweise zwischen einer Skizze und dem ausgeführten Werk.
Du hast also schon bei Silvia Bächli Skulpturen gemacht? Sie ist ja vor allem als Zeichnerin bekannt und war in diesem Bereich sicher auch einflussreich?
Die meiste Zeit verbringe ich mit Zeichnen, was auch einen großen Einfluss auf die Formfindung für meine Skulpturen hat. Silvia Bächli besaß die besondere Fähigkeit, nicht nur zu sagen, was ihrer Meinung nach ›nicht stimmte‹, sondern es auch genau zu definieren. Sie hatte kein Interesse daran, zwanzig kleine Bächlis zu kreieren, sie wollte eine Haltung vermitteln. Es ging bei ihr nicht um Stift und Papier, sondern um etwas Generelles. Für mich war sie die richtige Lehrerin zur richtigen Zeit. Viele der Fragen, die sie aufgeworfen hat, beschäftigen mich noch heute, unabhängig vom Medium.
Bei vielen der neueren Arbeiten, Lamar zum Beispiel, ein Wandrelief aus Aluminium, ist mir die handwerkliche Präzision aufgefallen. Interessiert dich der handwerkliche Teil und inwieweit bist du in die Herstellung involviert? Gibt es im Herstellungsprozess noch ein bisschen Zufall oder versuchst du, ihn eher auszuschließen und wirklich konkrete Pläne oder Konstruktionszeichnungen zu machen?
Ich mache meine Arbeiten nicht, um eine handwerkliche Finesse zu präsentieren — so etwas beeindruckt mich auch bei anderen Künstlern wenig. Die Technik muss einfach so gut sein, dass die |dee transportiert wird — sie ist Mittel zum Zweck, darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Ich arbeite gern mit erfahrenen Handwerkern zusammen. Erstens sind sie routinierter und können alles viel schneller umsetzen als ich. Zudem kann ich von ihrem reichen Erfahrungsschatz profitieren; sie bringen mich auf ganz neue Ideen und zeigen mir, was mit bestimmten Materialien alles möglich ist.
Meine Einstellung zur Fertigung war zu Beginn meiner Karriere noch anders. Als ich die Minimal Art kennengelernt habe, hat mich die technische Präzision fasziniert und ich habe sie für einen Grundbaustein von ›guter Kunst‹ gehalten. Früher wollte ich schon einen gewissen Grad an Perfektion erreichen, aber mittlerweile finde ich es sehr viel reizvoller, den Materialien Raum zu geben. Ich will das Material nicht malträtieren, sondern mit seinen spezifischen Eigenschaften arbeiten. Ein Stück Leder etwa hat naturgemäß meist ein paar ›Fehler‹. Ich verstecke diese nicht und mache gerade mit diesen Fehlern dann ein ›minima|istisches‹ Werk.
Ich denke in letzter Zeit grundsätzlicher über die Frage der Schönheit nach. Mich hat ein Wort von Charles Baudelaire beschäftigt, das besagt, dass die Natur immer größere Schönheit erschafft als der Künstler. Ich finde diese Haltung sehr sympathisch und sie hat mir die Augen dafür geöffnet, auch in vermeintlichen Fehlern Schönheit zu suchen. Ich arbeite auch so gerne mit Aquarellfarben, da sie fast keine Korrekturen ermöglichen. Eine Glasarbeit von 2013 demonstriert das ebenfalls, King of Limps. Gerade im Kaputten, Zerbrochenen ist auch Schönheit zu finden. Dieser Kontrast kommt in meiner Arbeit auf verschiedenen Ebenen zum Vorschein.
Gibt es so etwas wie Materialrecherche bei dir? Beispielsweise der Effekt der zart durchscheinenden Farben in Frontier (2014), eine Arbeit aus zwei mit Stoff bespannten Rahmen mit darunterliegender Holzstruktur, ist ja nur durch dieses spezielle Material, Kitestoff, möglich.
Ich spiele schon mit Materialästhetik. Der Anfang meiner Beschäftigung mit Stoffen war, dass ich ein halbes Jahr in Baltimore studiert habe. In diesem deutlich verschulteren System wurde ich dem »Fiber Department« zugewiesen. Die eine Hälfte der Studenten hat Haute Couture entworfen und die andere hat gewebt. Ich war fasziniert von ihren technischen Fertigkeiten sowie ihrer Behandlung und Beurteilung von Stoff. Das war eine wichtige Erfahrung für mich. Ein Stoff transportiert immer auch Bedeutungen, Hinweise auf seine Entstehungszeit et cetera. Ein wild gemusterter Siebzigerjahre-Stoff zum Beispiel löst gleich viele Assoziationen aus. Ich fand das als Ausgangsmaterial ergiebiger als eine weiße Leinwand. In gewisser Weise fliegt mir die Arbeit dann von selbst zu. Wenn ich als bildender Künstler in einen Stoffladen gehe, begegnet man mir gleich mit besonderem Interesse. Es fällt schon auf, wenn jemand keine Kleider nähen will. Und diese Außenseiterstellung führt dazu, dass mir oft Dinge gezeigt werden, die andere vielleicht nicht präsentiert bekommen.
Du hast erwähnt, dass du dich in der Regel mit mehreren Kunstwerken gleichzeitig beschäftigst. Kann ich mir das so vorstellen, dass dann viele Werke parallel in Arbeit sind und du auch hin- und herspringst, wenn es mal an einer Stelle nicht weitergeht?
Wenn ich ins Atelier komme, bin ich nicht immer in derselben Stimmung. Manchmal kann ich nicht an einer großen Skulptur arbeiten. Dann fange ich eben mit kleinen Papierarbeiten an. Für mich ist es äußerst anregend, unterschiedliche Arbeiten in verschiedenen Stadien zu sehen. Manchmal treibt mich die Ungeduld von einer Papierarbeit weg oder ich muss warten, bis irgendwo die Farbe getrocknet ist. Dann gehe ich zu einer anderen Sache und arbeite mit frischer Energie an ihr. Oft müssen meine Kunstwerke auch eine Weile ›ruhen‹‚ um dann abschließend beurteilt oder erneut bearbeitet zu werden. Viele meiner Kollegen sagen, dass sie nach einer Ausstellung in ein Loch fallen und nicht wissen, was sie tun sollen. Das gibt es bei mir nicht, es ist immer alles im Fluss, es gibt keine großen Abschlüsse.
Ludwig Seyfarth hat in einem Text geschrieben, dass es in deinen Arbeiten »absichtliche Ungereimtheiten und Fallen« gebe und hat auch einen »Schalk« ausgemacht, der diese vermeintlich minimalistischen Werke bricht. Findest du das eine treffende Beschreibung? Und wenn ja: Wie kommen diese Ungereimtheiten in die formal so streng aussehenden Arbeiten? Ist das eher eine bewusste Entscheidung oder passiert das im Prozess?
Da fällt mir ein Ausspruch des Künstlers Meuser ein. Er sagte immer, wenn er mich gesehen hat: »Ah, da kommt der falsche Maler.« Das hat mir sehr gut gefallen. Ich mag wie gesagt den Minimalismus, nicht aber seine Ernsthaftigkeit und Manifeste. Es gab in den Sechziger- und Siebzigerjahren auch eine Menge Dogmatismus, diese und jene Kunstrichtung wurde für tot erklärt et cetera. Ich würde mich nicht gerade als Humorist beschreiben, aber ich mag auch das Leichte. Und ich nehme mich selbst nicht immer vollkommen ernst. Hier und dort greife ich Aspekte auf, springe zwischen Genres und Auffassungen hin und her. Ich möchte die Dinge nicht kategorisieren.
Zwei klassische Kategorien sind Figuration und Ungegenständlichkeit. Ist das für dich überhaupt noch ein Spannungsfeld und wie würdest du deine Arbeit da positionieren?
Ich mag jegliche Kunst, die für mich ›gut‹ ist oder ›interessant‹. Da spielt es keine Rolle, ob sie figurativ ist oder abstrakt, das sind einfach nur Stilarten. Es gibt gute klassische Musik und guten Jazz, aber genauso gibt es schlechten Jazz und schlechte Klassik. Es sind einfach zwei Stilformen, aber sie sagen Über Qualität nichts aus. Und so würde ich das auch in der bildenden Kunst beschreiben. Es geht immer nur um den Inhalt.
Früher dachte ich, ich müsste mich entscheiden und ganz genau bestimmen, was ich mache. Heute lasse ich viel mehr zu, zum Beispiel auch figürIiche Assoziationen. Es geht erneut darum, eine Haltung zu finden. Ein Sammler hat kürzlich zu mir gesagt, dass er die Poesie meiner Arbeiten immer erkenne, das hat mich gefreut. Wolfgang Tillmans etwa macht abstrakte und gegenständliche Arbeiten nebeneinander und doch ist ein roter Faden erkennbar.
Gehst du viel in Ausstellungen und liest Kataloge anderer Künstler oder versuchst du, dich eher frei zu halten von zu vielen fremden Einflüssen? Was für Anregungen gibt es jenseits der bildenden Kunst? Musik hast du schon angesprochen. Zudem Literatur, Popkultur, Comics ...?
Ich schaue mir sehr gerne Ausstellungen an. Interessanterweise viel häufiger außerhalb von Hamburg als vor meiner Haustür, überall sonst in Deutschland oder im Ausland. Da ich in Hamburg aufgewachsen bin, ist mir die Stadt vertraut und so habe ich Ruhe zum Arbeiten. Ich bin bewusst nicht nach Berlin gezogen, aus Sorge, dort vor lauter interessanten Dingen nicht mehr ins Atelier zu gehen. Hamburg ist in gewisser Weise mein konzentrierter Rückzugsort, eine wunderbare Stadt zum Arbeiten.
Ich besuche Ausstellungen mit alter wie aktueller Kunst. Ich beschäftige mich zudem auch mit Philosophie, lese im Moment ein Werk des Dalai Lama. Überall dort finde ich Anregungen, meine Haltung zu überdenken. Mich beschäftigt zurzeit die Frage, was Kunstmachen in Bezug auf die Gesellschaft bedeutet. Mich interessiert ein größeres Bild als noch vor einigen Jahren, wo ich sehr auf meine eigene kleine Welt bezogen war.
Peter Weiss hat in seinen Notizbüchern der Siebzigerjahre geschrieben: »Ästhetische Fragen sind immer politische Fragen.« Kannst du mit dieser Äußerung etwas anfangen? Spielt Politisches in deiner Arbeit eine Rolle?
Es spielt eine immer größere Rolle. Ich habe vor einigen Jahren die Tragweite meines Handelns noch gar nicht begriffen. Langsam beginne ich, die Dimensionen meines Tuns zu verstehen und was Kunst in Beziehung zur Gesellschaft bedeutet. Mir gefiele es, wenn Künstler sich als visuelle Philosophen definieren würden.
Ich glaube nicht, dass Kunst ganz konkret etwas bewirken kann. Der Einfluss findet eher unbewusst statt. Es ist natürlich eine utopische Vorstellung, aber ich würde gerne beitragen zum Verständnis einer Gesellschaft, ich möchte die Menschen in ihrem Alltagsleben und ihrem Umgang mit Anderen sensibilisieren. Wenn das erreicht wäre, hätte die Kunst schon Erhebliches geleistet und wir wären einen Schritt weiter. Kunst stelle ich mir als eine Art Seelennahrung oder Nahrung für den Geist vor. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.
Was treibt dich jeden Morgen an, ins Atelier zu gehen?
Meine Arbeit macht mir wirklich sehr, sehr viel Freude. Es ist für mich in diesem Sinne gar keine Arbeit, weil sie so stimulierend ist. Die behandelten Themen regen mich immer wieder aufs Neue an. Das Kunstmachen ähnelt der stundenlangen Meditation buddhistischer Mönche: Am Ende fühle ich mich befreit und bereichert. Ich werde auch mit meinen Ängsten konfrontiert, lerne loszulassen, Dinge nicht zu kontrollieren. Es sind ganz elementare Dinge. Allein die Frage, wann ein Werk abgeschlossen ist, bleibt komplex und herausfordernd. Sie hat mit Intellekt und Gefühl zugleich zu tun und erfordert Entscheidungen — es ist eine ständige Auseinandersetzung. Es gibt in meinem Alltag nichts Lauwarmes und die Kunst formt mich. Und wenn etwas gelingt, löst das Glücksgefühle aus. Diese sind eine starke Triebfeder, zusammen mit der Erweiterung meines Horizonts.
»Kunst formt mich«
Im Gespräch mit Clemens von Lucius
Berlin, 1. Dezember 2015
Ich habe zu Beginn eine Frage zu den Titeln deiner Arbeiten. die letzte Ausstellung bei SCHWARZ CONTEMPORARY hieß La grande ombra (2015), frühere Ausstellungen trugen Titel wie Running on Sunshine oder Follow the Smokeman. Auf den ersten Blick ist nicht sofort eine Beziehung dieser konkreten Titel zu den Arbeiten zu erkennen. als Gegenstück dazu tragen einzelne Werke dann Titel wie Lamar oder Gri-Gri (beide 2015), bei denen die Bedeutung nicht klar ist. Kannst du etwas dazu sagen, wie du zu deinen Titeln kommst und was für eine Rolle sie in deiner Kunst spielen?
Ich bin der Ansicht, dass ein Kunstwerk nicht nur eine einzige Bedeutungsebene hat. Hier spielen Titel eine wichtige Rolle: Sie können als Parallelstrang zum visuellen Erscheinungsbild Assoziationen freisetzen und so die Betrachter anregen, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Dieser Aspekt ist bei der Suche nach den Titeln für mich von Bedeutung. Die Titel haben meist eine persönliche Seite, sind aber nicht direkt biografisch wie bei manchen Künstlern. Sie sollen nicht durch zu konkrete Bedeutungen einengen, sondern Denkräume öffnen und Gedanken freisetzen.
Einige Titel haben ihren Ursprung in Musik – ich höre sehr viel Musik bei der Arbeit. Mich reizt besonders deren Unmittelbarkeit: Sie löst häufig innerhalb von Sekunden Reaktionen und auch Emotionen aus. Wenn ich das Radio anschalte, weiß ich sofort, ob ich weiterhören oder einen anderen Sender suchen will. Und dabei ist es unerheblich, ob ich das intellektuell begreifen oder begründen kann. Idealerweise geht also bei der Betrachtung meiner Werke im Zusammenspiel mit den Titeln beides Hand in hand: Bauchgefühl und Intellektuelles. Sie sollen stimulieren.
Dein skulpturalen Arbeiten, aber auch deine Ausstellungen insgesamt stehen für mein Gefühl in einem engen Dialog mit der jeweiligen Präsentationsform. Der umgebende Raum und auch der Weg, den der Betrachter nehmen kann, sind wichtig. Schaffst du die Skulpturen teilweise für eine bestimmte Raumsituation oder passt du sie an diese an?
Für die schon erwähnte Ausstellung La grand ombra habe ich mir sehr viele Gedanken gemacht, wie die Werke choreografieren kann. Vor allem bei meinen skulpturalen Arbeiten ist es wichtig, dass man auch um sie herumgehen kann. Das spielt auch für mich als Künstler eine Rolle. Es ist geradezu unterhaltsam zu sehen, schon während des Entstehungsprozesses, was eine Arbeit auf der anderen Seite zu bieten hat.
Es ist mir wichtig, dass meine Werke auf unterschiedliche Weise ›funktionieren‹. Einerseits unmittelbar, wenn man sie nur für wenige Sekunden betrachtet, andererseits sollen sie dem Publikum auch die Möglichkeit bieten, nach zehn Minuten noch etwas Überraschendes zu entdecken. Diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen stehen in enger Beziehung zum Raum. Das hat auch mit meinem ersten Studium in Holland zu tun, der Studiengang hieß »Monumentale Kunst«. Es ging dort aber nicht um reine Größe, also nicht um Skulptur im öffentlichen Raum oder Ähnliches und auch nicht um ein bestimmtes Medium. Die Hauptfrage war die nach der eigenen Haltung und das schwingt immer noch in meinen Arbeiten mit. Mich interessieren starre Definitionen eher wenig, ich finde es im Gegenteil viel reizvoller, eine Malerei zu schaffen, die auch skulpturale Qualitäten hat, oder eine hängende Skulptur, die zeichnerische Qualitäten besitzt.
Für Betrachter, die dein Werk nicht im Detail kennen, könnte ein gewisser Widerspruch bestehen zwischen den großen und beinahe ›technoiden‹ Skulpturen und den feinen, teilweise fast fragilen Zeichnungen. Wie würdest du die Beziehung zwischen diesen beiden Teilen deines Werks beschreiben? Oder sind es gar keine getrennten Teile für dich?
Für mich sind die Skulpturen und die Zeichnungen nicht so klar getrennt, sie bedingen sich. Ich wäre wahrscheinlich ohne die großen Metallskulpturen gar nicht in der Lage, so fragile Papierarbeiten zu machen. Manchmal konfrontiere ich ouch mehrere scheinbar gegensätzliche Materialien in einer Arbeit, das erzeugt eine ganz eigene Spannung. Mich interessiert diesbezüglich, die Genregrenzen zu überwinden.
Als ich Meisterschüler bei Silvia Bächli war, habe ich zum ersten Mal einen ganzen Raum alleine als Atelier bekommen. Ich habe dabei erfahren, was es bedeutet, mehrere Arbeiten in verschiedenen Medien und in unterschiedlichen Stadien parallel zu bearbeiten. Es war neu für mich, dass ich ein Werk nicht sofort fertigstellen muss, sondern es auch liegen lassen kann. Und so arbeite ich heute immer noch: Die großen Arbeiten existieren im gleichen Raum wie meine Zeichnungen, sie beeinflussen sich gegenseitig. Es gibt Beziehungen zwischen ihnen, sie sind allerdings nicht so eindeutig wie beispielsweise zwischen einer Skizze und dem ausgeführten Werk.
Du hast also schon bei Silvia Bächli Skulpturen gemacht? Sie ist ja vor allem als Zeichnerin bekannt und war in diesem Bereich sicher auch einflussreich?
Die meiste Zeit verbringe ich mit Zeichnen, was auch einen großen Einfluss auf die Formfindung für meine Skulpturen hat. Silvia Bächli besaß die besondere Fähigkeit, nicht nur zu sagen, was ihrer Meinung nach ›nicht stimmte‹, sondern es auch genau zu definieren. Sie hatte kein Interesse daran, zwanzig kleine Bächlis zu kreieren, sie wollte eine Haltung vermitteln. Es ging bei ihr nicht um Stift und Papier, sondern um etwas Generelles. Für mich war sie die richtige Lehrerin zur richtigen Zeit. Viele der Fragen, die sie aufgeworfen hat, beschäftigen mich noch heute, unabhängig vom Medium.
Bei vielen der neueren Arbeiten, Lamar zum Beispiel, ein Wandrelief aus Aluminium, ist mir die handwerkliche Präzision aufgefallen. Interessiert dich der handwerkliche Teil und inwieweit bist du in die Herstellung involviert? Gibt es im Herstellungsprozess noch ein bisschen Zufall oder versuchst du, ihn eher auszuschließen und wirklich konkrete Pläne oder Konstruktionszeichnungen zu machen?
Ich mache meine Arbeiten nicht, um eine handwerkliche Finesse zu präsentieren — so etwas beeindruckt mich auch bei anderen Künstlern wenig. Die Technik muss einfach so gut sein, dass die |dee transportiert wird — sie ist Mittel zum Zweck, darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Ich arbeite gern mit erfahrenen Handwerkern zusammen. Erstens sind sie routinierter und können alles viel schneller umsetzen als ich. Zudem kann ich von ihrem reichen Erfahrungsschatz profitieren; sie bringen mich auf ganz neue Ideen und zeigen mir, was mit bestimmten Materialien alles möglich ist.
Meine Einstellung zur Fertigung war zu Beginn meiner Karriere noch anders. Als ich die Minimal Art kennengelernt habe, hat mich die technische Präzision fasziniert und ich habe sie für einen Grundbaustein von ›guter Kunst‹ gehalten. Früher wollte ich schon einen gewissen Grad an Perfektion erreichen, aber mittlerweile finde ich es sehr viel reizvoller, den Materialien Raum zu geben. Ich will das Material nicht malträtieren, sondern mit seinen spezifischen Eigenschaften arbeiten. Ein Stück Leder etwa hat naturgemäß meist ein paar ›Fehler‹. Ich verstecke diese nicht und mache gerade mit diesen Fehlern dann ein ›minima|istisches‹ Werk.
Ich denke in letzter Zeit grundsätzlicher über die Frage der Schönheit nach. Mich hat ein Wort von Charles Baudelaire beschäftigt, das besagt, dass die Natur immer größere Schönheit erschafft als der Künstler. Ich finde diese Haltung sehr sympathisch und sie hat mir die Augen dafür geöffnet, auch in vermeintlichen Fehlern Schönheit zu suchen. Ich arbeite auch so gerne mit Aquarellfarben, da sie fast keine Korrekturen ermöglichen. Eine Glasarbeit von 2013 demonstriert das ebenfalls, King of Limps. Gerade im Kaputten, Zerbrochenen ist auch Schönheit zu finden. Dieser Kontrast kommt in meiner Arbeit auf verschiedenen Ebenen zum Vorschein.
Gibt es so etwas wie Materialrecherche bei dir? Beispielsweise der Effekt der zart durchscheinenden Farben in Frontier (2014), eine Arbeit aus zwei mit Stoff bespannten Rahmen mit darunterliegender Holzstruktur, ist ja nur durch dieses spezielle Material, Kitestoff, möglich.
Ich spiele schon mit Materialästhetik. Der Anfang meiner Beschäftigung mit Stoffen war, dass ich ein halbes Jahr in Baltimore studiert habe. In diesem deutlich verschulteren System wurde ich dem »Fiber Department« zugewiesen. Die eine Hälfte der Studenten hat Haute Couture entworfen und die andere hat gewebt. Ich war fasziniert von ihren technischen Fertigkeiten sowie ihrer Behandlung und Beurteilung von Stoff. Das war eine wichtige Erfahrung für mich. Ein Stoff transportiert immer auch Bedeutungen, Hinweise auf seine Entstehungszeit et cetera. Ein wild gemusterter Siebzigerjahre-Stoff zum Beispiel löst gleich viele Assoziationen aus. Ich fand das als Ausgangsmaterial ergiebiger als eine weiße Leinwand. In gewisser Weise fliegt mir die Arbeit dann von selbst zu. Wenn ich als bildender Künstler in einen Stoffladen gehe, begegnet man mir gleich mit besonderem Interesse. Es fällt schon auf, wenn jemand keine Kleider nähen will. Und diese Außenseiterstellung führt dazu, dass mir oft Dinge gezeigt werden, die andere vielleicht nicht präsentiert bekommen.
Du hast erwähnt, dass du dich in der Regel mit mehreren Kunstwerken gleichzeitig beschäftigst. Kann ich mir das so vorstellen, dass dann viele Werke parallel in Arbeit sind und du auch hin- und herspringst, wenn es mal an einer Stelle nicht weitergeht?
Wenn ich ins Atelier komme, bin ich nicht immer in derselben Stimmung. Manchmal kann ich nicht an einer großen Skulptur arbeiten. Dann fange ich eben mit kleinen Papierarbeiten an. Für mich ist es äußerst anregend, unterschiedliche Arbeiten in verschiedenen Stadien zu sehen. Manchmal treibt mich die Ungeduld von einer Papierarbeit weg oder ich muss warten, bis irgendwo die Farbe getrocknet ist. Dann gehe ich zu einer anderen Sache und arbeite mit frischer Energie an ihr. Oft müssen meine Kunstwerke auch eine Weile ›ruhen‹‚ um dann abschließend beurteilt oder erneut bearbeitet zu werden. Viele meiner Kollegen sagen, dass sie nach einer Ausstellung in ein Loch fallen und nicht wissen, was sie tun sollen. Das gibt es bei mir nicht, es ist immer alles im Fluss, es gibt keine großen Abschlüsse.
Ludwig Seyfarth hat in einem Text geschrieben, dass es in deinen Arbeiten »absichtliche Ungereimtheiten und Fallen« gebe und hat auch einen »Schalk« ausgemacht, der diese vermeintlich minimalistischen Werke bricht. Findest du das eine treffende Beschreibung? Und wenn ja: Wie kommen diese Ungereimtheiten in die formal so streng aussehenden Arbeiten? Ist das eher eine bewusste Entscheidung oder passiert das im Prozess?
Da fällt mir ein Ausspruch des Künstlers Meuser ein. Er sagte immer, wenn er mich gesehen hat: »Ah, da kommt der falsche Maler.« Das hat mir sehr gut gefallen. Ich mag wie gesagt den Minimalismus, nicht aber seine Ernsthaftigkeit und Manifeste. Es gab in den Sechziger- und Siebzigerjahren auch eine Menge Dogmatismus, diese und jene Kunstrichtung wurde für tot erklärt et cetera. Ich würde mich nicht gerade als Humorist beschreiben, aber ich mag auch das Leichte. Und ich nehme mich selbst nicht immer vollkommen ernst. Hier und dort greife ich Aspekte auf, springe zwischen Genres und Auffassungen hin und her. Ich möchte die Dinge nicht kategorisieren.
Zwei klassische Kategorien sind Figuration und Ungegenständlichkeit. Ist das für dich überhaupt noch ein Spannungsfeld und wie würdest du deine Arbeit da positionieren?
Ich mag jegliche Kunst, die für mich ›gut‹ ist oder ›interessant‹. Da spielt es keine Rolle, ob sie figurativ ist oder abstrakt, das sind einfach nur Stilarten. Es gibt gute klassische Musik und guten Jazz, aber genauso gibt es schlechten Jazz und schlechte Klassik. Es sind einfach zwei Stilformen, aber sie sagen Über Qualität nichts aus. Und so würde ich das auch in der bildenden Kunst beschreiben. Es geht immer nur um den Inhalt.
Früher dachte ich, ich müsste mich entscheiden und ganz genau bestimmen, was ich mache. Heute lasse ich viel mehr zu, zum Beispiel auch figürIiche Assoziationen. Es geht erneut darum, eine Haltung zu finden. Ein Sammler hat kürzlich zu mir gesagt, dass er die Poesie meiner Arbeiten immer erkenne, das hat mich gefreut. Wolfgang Tillmans etwa macht abstrakte und gegenständliche Arbeiten nebeneinander und doch ist ein roter Faden erkennbar.
Gehst du viel in Ausstellungen und liest Kataloge anderer Künstler oder versuchst du, dich eher frei zu halten von zu vielen fremden Einflüssen? Was für Anregungen gibt es jenseits der bildenden Kunst? Musik hast du schon angesprochen. Zudem Literatur, Popkultur, Comics ...?
Ich schaue mir sehr gerne Ausstellungen an. Interessanterweise viel häufiger außerhalb von Hamburg als vor meiner Haustür, überall sonst in Deutschland oder im Ausland. Da ich in Hamburg aufgewachsen bin, ist mir die Stadt vertraut und so habe ich Ruhe zum Arbeiten. Ich bin bewusst nicht nach Berlin gezogen, aus Sorge, dort vor lauter interessanten Dingen nicht mehr ins Atelier zu gehen. Hamburg ist in gewisser Weise mein konzentrierter Rückzugsort, eine wunderbare Stadt zum Arbeiten.
Ich besuche Ausstellungen mit alter wie aktueller Kunst. Ich beschäftige mich zudem auch mit Philosophie, lese im Moment ein Werk des Dalai Lama. Überall dort finde ich Anregungen, meine Haltung zu überdenken. Mich beschäftigt zurzeit die Frage, was Kunstmachen in Bezug auf die Gesellschaft bedeutet. Mich interessiert ein größeres Bild als noch vor einigen Jahren, wo ich sehr auf meine eigene kleine Welt bezogen war.
Peter Weiss hat in seinen Notizbüchern der Siebzigerjahre geschrieben: »Ästhetische Fragen sind immer politische Fragen.« Kannst du mit dieser Äußerung etwas anfangen? Spielt Politisches in deiner Arbeit eine Rolle?
Es spielt eine immer größere Rolle. Ich habe vor einigen Jahren die Tragweite meines Handelns noch gar nicht begriffen. Langsam beginne ich, die Dimensionen meines Tuns zu verstehen und was Kunst in Beziehung zur Gesellschaft bedeutet. Mir gefiele es, wenn Künstler sich als visuelle Philosophen definieren würden.
Ich glaube nicht, dass Kunst ganz konkret etwas bewirken kann. Der Einfluss findet eher unbewusst statt. Es ist natürlich eine utopische Vorstellung, aber ich würde gerne beitragen zum Verständnis einer Gesellschaft, ich möchte die Menschen in ihrem Alltagsleben und ihrem Umgang mit Anderen sensibilisieren. Wenn das erreicht wäre, hätte die Kunst schon Erhebliches geleistet und wir wären einen Schritt weiter. Kunst stelle ich mir als eine Art Seelennahrung oder Nahrung für den Geist vor. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.
Was treibt dich jeden Morgen an, ins Atelier zu gehen?
Meine Arbeit macht mir wirklich sehr, sehr viel Freude. Es ist für mich in diesem Sinne gar keine Arbeit, weil sie so stimulierend ist. Die behandelten Themen regen mich immer wieder aufs Neue an. Das Kunstmachen ähnelt der stundenlangen Meditation buddhistischer Mönche: Am Ende fühle ich mich befreit und bereichert. Ich werde auch mit meinen Ängsten konfrontiert, lerne loszulassen, Dinge nicht zu kontrollieren. Es sind ganz elementare Dinge. Allein die Frage, wann ein Werk abgeschlossen ist, bleibt komplex und herausfordernd. Sie hat mit Intellekt und Gefühl zugleich zu tun und erfordert Entscheidungen — es ist eine ständige Auseinandersetzung. Es gibt in meinem Alltag nichts Lauwarmes und die Kunst formt mich. Und wenn etwas gelingt, löst das Glücksgefühle aus. Diese sind eine starke Triebfeder, zusammen mit der Erweiterung meines Horizonts.